Aktuelle Situation in der Ukraine aus Sicht des Strahlenschutzes in Österreich

06.07.2023, 14:00

Status: Nicht abgeschlossen

Die Abteilung Strahlenschutz im Klimaschutzministerium ist zuständig für den Schutz Österreichs vor Auswirkungen von nuklearen Zwischenfällen. Dazu überwacht das Ministerium rund um die Uhr alle relevanten Vorkommnisse und Messwerte und ist in ständiger Abstimmung mit den Behörden unserer Nachbarländer, der EU und der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA.

Sollte es in kerntechnischen Anlagen zu sicherheitsrelevanten Ereignissen kommen, informiert die Abteilung für Strahlenschutz alle betroffenen Stellen und setzt alle notwendigen Schritte. Von der laufenden Beobachtung und Einschätzung der Situation, über die umfassende Information der Menschen in Österreich bis hin zu etwaigen Schutzmaßnahmen.

Im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine überwacht das BMK die radiologische Lage in der Ukraine genau und steht verstärkt im Austausch mit den Behörden der Nachbarländer und mit der IAEA. In der Ukraine sind vier Kernkraftwerke in Betrieb: Riwne, Saporischschja, Chmelnyzkyj und Süd-Ukraine. Die Kraftwerke liegen 700 bis 1.300 km von der österreichischen Staatsgrenze entfernt.

Kernkraftwerk Saporischschja

Am 6. Juni 2023 wurde der Kachowka-Staudamm in der südukrainischen Region Cherson durch Kriegshandlungen schwer beschädigt. Das Kernkraftwerk Saporischschja wurde mit Wasser aus dem Kachowka-Stausee gekühlt. Laut IAEA besteht bis auf weiteres keine Gefahr für das KKW Saporischschja. Alle sechs Reaktoren des KKW sind seit längerer Zeit heruntergefahren und benötigen deshalb verhältnismäßig wenig Kühlleistung. Das KKW verfügt über eigene, vom Stausee getrennte, aber aus ihm gespeiste Kühlbecken, um die Kühlung über mehrere Monate zu gewährleisten. Ein Expertenteam der IAEA ist schon seit längerem in Saporischschja vor Ort. Sollte sich die Lage im KKW verändern, erhält die Abteilung Strahlenschutz im BMK umgehend Informationen über die IAEA.

Seit Kriegsbeginn wurde das KKW immer wieder durch Kampfhandlungen wie Beschuss bedroht. Aufgrund von seit Mai 2023 bestehenden Gerüchten über einen bevorstehenden Abzug der russischen Besatzer vom KKW und über eine angebliche Verminung der Anlage wird das Gelände von der IAEA zurzeit inspiziert. Die Verminung konnte von der IAEA nicht bestätigt werden, allerdings hat sie auch nicht zu allen Bereichen der Anlage Zugang.

Das Expertenteam der IAEA wird die längerfristigen Auswirkungen für das KKW vor Ort beurteilen.

Die Anlage Saporischschja ist etwa 1.300 km von Österreich entfernt. Es besteht aktuell keine Gefahr für Österreich. Die Expertinnen und Experten des Klimaschutzministeriums beobachten die Lage laufend.

Hintergrundinformationen zum KKW Saporischschja

Entsprechend den aktuellen Bewertungen der IAEA ist die nukleare Sicherheit des KKW Saporischschja aufgrund anhaltender Kampfhandlungen gefährdet. Alle sechs Reaktoren des KKW Saporischschja sind abgeschaltet. Dennoch benötigen sie weiterhin Strom für die Reaktorkühlung und andere wesentliche Funktionen der nuklearen Sicherheit und Sicherung. Bei einem Ausfall der externen Stromversorgung stehen Diesel-Notstromaggregate des Standorts bereit, um alle sicherheitsrelevanten Geräte mit Strom zu versorgen. Seit Beginn des Krieges ist die externe Stromversorgung mehrmals gänzlich ausgefallen und die Diesel-Notstromaggregate konnten das KKW mit Strom versorgen.

Die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) startete am 1. September 2022 eine Mission von Expertinnen und Experten zur Überprüfung der Sicherheit des Kernkraftwerks Saporischschja. Grund für die Mission waren Kampfhandlungen rund um das Kernkraftwerk, die zu Beschuss der Anlage und wiederholtem Verlust der externen Stromversorgung geführt hatten. Aufgabe der Expertinnen und Experten der IAEA ist das Sichten und Bewerten der Schäden an der Anlage und das Überprüfen der Sicherheitssysteme des KKW sowie der Maßnahmen zur Sicherung des Nuklearmaterials.

Das Kernkraftwerk steht unter russischer Kontrolle, wird aber weiterhin von ukrainischem Personal betrieben.

Weitere Kernkraftwerke in der Ukraine

Durch Beschuss der Energie-Infrastruktur war die Stromversorgung der KKW Südukraine, Riwne und Chmelnyzkyj im Jahr 2022 wiederholt unterbrochen. Die Reaktorblöcke konnten jedoch wieder ans Stromnetz angeschlossen werden.

Teams von Expertinnen und Experten für nukleare Sicherheit und Sicherung der IAEA wurden in den ukrainischen Kernkraftwerken und am Standort Tschernobyl stationiert. Die IAEA-Expertinnen und -Experten sind für die Überwachung der Situation in den Anlagen sowie für technische Unterstützung und Beratung zuständig. Riwne befindet sich circa 700 km, Chmelnyzkyj circa 720 km und der Standort Südukraine circa 1.050 km von der österreichischen Grenze entfernt. Die derzeit vorliegenden Messdaten der Ukraine im europäischen Messnetz zeigen keine Messwerterhöhungen. Es besteht aktuell keine Gefahr für Österreich.

Anlagen bei Tschernobyl

Am 6. Juni 2023 gab die IAEA bekannt, dass es im Gebiet um Tschernobyl wie jeden Sommer zu einem kleineren Waldbrand gekommen ist. Dieser stellt jedoch keine radiologische Gefahr für Österreich dar. Aufgrund von Trockenheit kommt es in der Sperrzone von Tschernobyl immer wieder zu Waldbränden. Dabei ist es möglich, dass die noch aus dem Reaktorunfall von 1986 stammende Radioaktivität aus dem Boden in die Luft freigesetzt wird. Österreich wäre durch die freigesetzte Radioaktivität nicht gefährdet. Zuletzt kam es im Jahr 2020 zu größeren Waldbränden in der Sperrzone.

Das ehemalige Kernkraftwerk Tschernobyl das nach der Katastrophe 1986 noch immer überwacht werden muss, ist permanent heruntergefahren. (Der letzte Reaktor wurde bereits im Jahr 2000 regulär außer Betrieb genommen.) Ebenfalls in Tschernobyl befindet sich ein zentrales Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente.

Das ehemalige Kernkraftwerk Tschernobyl wurde am 24. Februar 2022 von russischen Truppen besetzt. Im Zusammenhang mit Kämpfen in der Nähe des ehemaligen Kernkraftwerks gab es Berichte über erhöhte Strahlenwerte. Diese dürften von aufgewirbelten Staub durchfahrender Militärfahrzeuge stammen. Die erhöhten Strahlenwerte hatten keine Auswirkungen, die über die bestehende Sperrzone hinausgingen.

Ende März zogen sich die russischen Streitkräfte aus der Sperrzone zurück und befindet sich wieder unter Kontrolle der ukrainischen Aufsichtsbehörde. Das automatische Messnetz zur Überwachung der Strahlung in der Sperrzone Tschernobyl ist seit dem 5. Mai 2022 wieder verfügbar.

 Tipp

 Hinweis

Der Bereitschaftsdienst der Abteilung Strahlenschutz verfolgt laufend die weitere Entwicklung. Es besteht aktuell keine Gefahr für Österreich.

FAQs zur radiologischen Situation in der Ukraine

Wie stark könnte Österreich von einem schweren KKW-Unfall in der Ukraine betroffen sein?

Wie sehr ein Kernkraftwerksunfall Österreich gefährden kann, ist vor allem von der Entfernung der Anlage, der Menge an freigesetzten radioaktiven Stoffen und von den herrschenden Wetterbedingungen abhängig.

Die vier in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke in der Ukraine sind zwischen 700 und 1.300 km von Österreichs Staatsgrenze entfernt. Aufgrund dieser großen Entfernung würden nur sehr große Freisetzungen und die anschließende direkte Verfrachtung radioaktiver Luftmassen nach Österreich zu einer Betroffenheit Österreichs führen.

In diesem Szenario können Maßnahmen im Bereich der Landwirtschaft und von Lebensmitteln notwendig sein. Abhängig von der Jahreszeit, in der ein Unfall stattfindet, können Lebensmittel kontaminiert werden. 

Landwirtschaftliche Maßnahmen, die schon vor Eintreffen der kontaminierten Luftmassen durchgeführt werden, können die Kontaminierung von Lebensmitteln effektiv mindern. Nutztiere sollten zum Beispiel mit nicht kontaminiertem Futter versorgt und Glashäuser geschlossen werden. Im Anlassfall werden verstärkte Kontrollen zur Überwachung von Futter- und Lebensmitteln durchgeführt. Bei Überschreiten von EU-weiten Höchstwerten wird das Inverkehrbringen von Lebens- und Futtermitteln aus den betroffenen Regionen verboten.

Schutzmaßnahmen wie die Einnahme von Kaliumiodid-Tabletten oder der Aufenthalt in Gebäuden wären aufgrund der weiten Entfernung der Kernkraftwerke in Österreich nicht zu ergreifen. Aus radiologischer Sicht ist die Einnahme von Kaliumiodid-Tabletten, abhängig vom Unfallhergang und den Wetterverhältnissen, maximal bis zu einer Entfernung von 100 bis 200 km zur Anlage sinnvoll.

Anmerkung: Evakuierungen sind in Österreich auch bei einem grenznahen schweren KKW-Unfall nicht notwendig. Evakuierungen werden bei schweren KKW-Unfällen nur in der unmittelbarsten Umgebung des Kraftwerkes, in den sogenannten Notfallplanungszonen, durchgeführt.

Ist aufgrund der Situation in der Ukraine die Einnahme von Kaliumiodid-Tabletten notwendig?

Nein! Selbst im Falle eines schweren KKW-Unfalls in der Ukraine wäre die Einnahme von Kaliumiodid-Tabletten in Österreich nicht notwendig.

Kaliumiodid-Tabletten sollen nur nach ausdrücklicher Aufforderung der zuständigen Behörden eingenommen werden. Die Einnahme von Kaliumiodid-Tabletten in Österreich ist eine Schutzmaßnahme, die nur bei schweren grenznahen Kernkraftwerksunfällen notwendig sein könnte und dann auch nur in den in Österreich am stärksten betroffenen Gebieten. In einem solchen Fall würden die Behörden die Bevölkerung rechtzeitig über das Sirenenwarnsystem und den ORF – insbesondere auch über den Zeitpunkt der Einnahme – informieren.

Zurzeit findet ein turnusmäßiger Austausch der Kaliumiodid-Tabletten in den Apotheken statt. Die dort gelagerten Tabletten erreichten Ende August 2021 ihr Verfallsdatum. Der aktuell laufende Austausch der Kaliumiodid-Tabletten hat keinen Zusammenhang mit den kriegerischen Ereignissen in der Ukraine.

Mehr Informationen zu den Kaliumiodid-Tabletten sind auf der → Website des Gesundheitsministeriums zu finden.

Wie erfährt Österreich von einem Unfall in einer kerntechnischen Anlage in der Ukraine?

Rasche Alarmierung durch Internationale Alarmierungs- und Informationssysteme: Als direkte Reaktion auf den katastrophalen Unfall in Tschernobyl im Jahr 1986 haben die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) und die Europäische Kommission Alarmierungssysteme und Informationsabkommen geschaffen. Damit ist ein Unfallland verpflichtet, die internationalen Stellen und betroffene Staaten so schnell wie möglich – noch vor einer Freisetzung radioaktiver Stoffe – zu alarmieren und mit Informationen zu versorgen. Zusätzlich hat Österreich Informationsabkommen mit seinen Nachbarstaaten und mit anderen Staaten wie der Ukraine geschlossen. Durch diese Abkommen würde Österreich bei einem KKW-Unfall in der Ukraine rasch alarmiert werden.

Prognosesysteme schätzen mögliche Auswirkungen auf Österreich frühzeitig ab: Um Auswirkungen auf Österreich frühzeitig abschätzen zu können, verfügt das BMK über spezielle Prognosesysteme. Freigesetzte radioaktiv kontaminierte Luftmassen können sich –je nach Windstärke und Windrichtung – über weite Distanzen ausbreiten. Mit Hilfe von Wetterprognosen und Modellrechnungen wird die Ausbreitung der kontaminierten Luftmassen prognostiziert. Damit können die wahrscheinlich betroffenen Regionen in Österreich schon frühzeitig erkannt sowie die zu erwartende Kontamination und die Strahlendosis für die Bevölkerung rasch abgeschätzt werden. Auf Basis dieser Informationen werden Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung gesetzt.

Automatische Strahlenmesssysteme: Sollte es zu einer Freisetzung und großräumigen Verfrachtung radioaktiver Stoffe kommen, würden diese durch automatische Strahlenmesssysteme im In- und Ausland detektiert werden und den Bereitschaftsdienst im BMK sofort alarmieren. Diese Messdaten erlauben eine Einschätzung der Lage und das Setzen von notwendigen Maßnahmen.
Die Strahlenschutzabteilung im BMK ist für die Überwachung der Umweltradioaktivität zuständig. Sie verfolgt die Situation in Österreich mit Hilfe des Österreichischen Strahlenfrühwarnsystems. Dabei handelt es sich um ein österreichweites automatisches Messsystem, das die Umwelt permanent auf radioaktive Kontaminationen hin überwacht. Erhöhte Messwerte, wie sie bei sich ausbreitenden radioaktiv kontaminierten Luftmassen registriert würden, lösen sofort einen Alarm aus. Zusätzliche vollautomatische Luftmonitorstationen an den österreichischen Grenzen können Art und Menge der radioaktiven Stoffe in der Luft bestimmen. Zwischenstaatliche Vereinbarungen ermöglichen zusätzlich den Online-Datenaustausch zwischen dem österreichischen Strahlenfrühwarnsystem und gleichartigen Messnetzen der Nachbarstaaten. Dadurch können im Fall einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen die Auswirkungen auf Österreich frühzeitig abgeschätzt werden. Aktuelle Messwerte des Strahlenfrühwarnsystems sind auf der Website des BMK abrufbar (→ strahlenschutz.gv.at). 

Das laborgestützte Überwachungsnetz kann auch geringste Spuren radioaktiver Stoffe in der Luft nachweisen: Neben den automatischen Strahlenmesssystemen betreibt Österreich ein laborgestütztes Überwachungsnetz, welches eine genaue Angabe über den Gehalt radioaktiver Stoffe in der Umwelt und in Lebensmitteln erlaubt. 
Auch geringste Mengen radioaktiver Stoffe in der Luft können mit Luftfiltern gemessen werden. Sollten in anderen europäischen Ländern Spuren von Radioaktivität in der Luft nachgewiesen werden, würde Österreich sofort Informationen über die entsprechenden europäischen Messlabors bekommen.

Ist Österreich durch die Ereignisse in Saporischschja betroffen?

Nein. Für Österreich besteht aktuell keine Gefahr aufgrund der Situation im Kernkraftwerk (KKW) Saporischschja.

Durch wiederholten Beschuss des Kernkraftwerks kam es bisher zu keiner Freisetzung radioaktiver Stoffe. Dies belegen auch die international verfügbaren Messwerte des Strahlenüberwachungssystems der Ukraine.

Die Abteilung Strahlenschutz im BMK beobachtet die Situation in der Ukraine rund um die Uhr und ist in intensiven Kontakt mit der Internationalen Atomenergie-Organisation.

Könnte Österreich durch möglich Vorfälle in den Anlagen von Tschornobyl betroffen sein?

Nein. Für Österreich besteht keine Gefahr. Sollte es zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe aus den Anlagen in Tschernobyl kommen, wären die Auswirkungen auf die unmittelbare Region um Tschernobyl beschränkt. Österreich wäre in keinem Fall von einer möglichen Freisetzung betroffen.

Der Unfallreaktor Tschernobyl wurde 1986 durch einen Unfall zerstört und hat inzwischen einen neuen Einschluss, „New Containment“ genannt, über dem ursprünglichen Sarkophag bekommen. Die drei anderen Reaktorblöcke von Tschernobyl sind seit über 20 Jahren stillgelegt. Außerdem befinden sich auf dem Gelände des ehemaligen KKWs ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente mit circa 20.000 Brennelementen, die dort seit über 20 Jahren gelagert werden. Eine Freisetzung radioaktiver Stoffe aus diesen Anlageteilen würde nur die unmittelbare Umgebung betreffen.

Aufgrund von Trockenheit kommt es auch in der Sperrzone von Tschernobyl immer wieder zu Waldbränden. Dabei ist es möglich, dass die noch aus dem Reaktorunfall von 1986 stammende Radioaktivität aus dem Boden in die Luft freigesetzt wird. Österreich wäre durch die freigesetzte Radioaktivität nicht gefährdet. Zuletzt kam es im Jahr 2020 zu Waldbränden in der Sperrzone.

Weiterführende Information: Bericht zu Waldbränden in Tschernobyl 2020